Klappentext:
Es gibt heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Perspektiven zu Ökologie, Natur und auch der drohenden Klimakatastrophe, die sich nicht selten grundlegend widersprechen.
Doch wie können wir all diese wertvollen Ansichten auf die natürliche Welt – formuliert von vielen Wissenschaftlern, Ökologen, Aktivisten und Philosophen – vereinen und zu einer umfassenden Perspektive kommen, um unsere Umweltprobleme effektiv in den Griff zu bekommen und in einem angemessenen Einklang mit unserer natürlichen Umwelt zu leben?
Integrale Ökologie wendet die Integrale Theorie Ken Wilbers auf unsere Umwelt und unser Verständnis der Natur an, und integriert damit all die unterschiedliche Theorien, Ansätze und wertvollen Einsichten in einem umfassenden Modell, welches unmittelbar umgesetzt werden kann.
Aus dem Buch:
Wem gehört die Umwelt?
Eingegraben mit seinen Vorderfüßen streckt ein Käfer seine Fühler aus, um ein schmackhaftes Stück verfaulenden Holzes zu greifen, ein paar Zentimeter im Innern einer zweihundert Jahre alten Douglasie, die vor Jahren, geschwächt durch ihr Alter, von einem Sturm gefällt wurde. Ein hungriger Specht hüpft auf dem vermodernden Baum herum und sucht nach Insekten und beginnt mit seinem hastigen Picken, das noch ein oder zwei Kilometer entfernt zu hören ist. Ein Bär stellt bei dem hämmernden Klang dieser Baumarbeiten seine Ohren auf, während er zwischen den Zedern und Fichten dahinschlendert. Er ist auf dem Weg zu seinem Lieblingsfluss, der nun voll mit Lachsen ist, die zu ihren Laichgründen schwimmen.
Über dem gleichen tiefen Tal, das vor Tausenden von Jahren von Gletschern geformt wurde, fliegt im Hubschrauber ein Förster aus British Columbia, der Untersuchungen über den Zustand des Nutzholzes an der mittleren und nördlichen Pazifikküste anstellt. Um die Mittagszeit bewegt sich ein Fotograf nahe an einen Grizzly heran, um ein Foto davon zu machen, wie der Bär einhändig einen Lachs fängt, der zur Spitze des Wasserfalls springt.
Derweil benutzt in einem Seitental eine Gruppe von Arbeitern Kettensägen und Planierraupen, um eine Straße zu bauen, die gebraucht wird, um Bäume abzutransportieren, die auf Märkten fernab verkauft werden sollen. Einige Umweltaktivisten organisieren eine Sitzblockade, um den Straßenbau zu verhindern, und liefern sich ein Rufgefecht mit den Straßenbauern und Holzfällern. Die Holzfäller rufen ihnen zu, dass sie wieder zurück in die Stadt gehen sollen, damit Einheimische sich ihr Geld mit echter Arbeit verdienen können.
Eine lokale Versammlung von Ureinwohnern, die lange vom Lachsfang leben konnten, geben eine erneute gerichtliche Beschwerde bekannt, um das Land ihrer Vorfahren wiederzubekommen – Berge und Flüsse, Pflanzen und Tiere, Friedhöfe und Ritualplätze – dessen Zukunft vor allem von den Nachfahren europäischer Einwanderer vereinnahmt wird.
Ein Politiker in Victoria wird von Wählern bedrängt, die es vehement ablehnen, dass der Regenwald an den Küsten abgeholzt wird. An diesem Abend wird in den Nachrichten darüber berichtet, wodurch Zuschauer in ganz Nordamerika erfahren, dass über das Schicksal des Great Bear Rainforest – auch bekannt als Nutzholzreservoir der mittleren und nördlichen Pazifikküste – ein Streit ausgebrochen ist. Diese Zuschauer knüpfen schnell die Verbindung zwischen dieser bedrohten Region und anderen verschwindenden Regenwäldern. In einer anderen Fernsehsendung nutzt ein Wissenschaftler, der auf die Erforschung von Ökosystemen spezialisiert ist, Satellitenbilder und GIS (Geoinformationssysteme), um zu zeigen, dass der Regenwald, um den es hier geht, die Größe eines kleinen Landes hat, dass große Teile davon schon zerstört wurden und dass in zwanzig Jahren – bei dem jetzigen Holzeinschlag – der Baumbestand vor allem aus Bauholz und Nutzholz für gierige Konsumenten bestehen wird. Obwohl er eigentlich als unparteiischer Experte spricht, zeigen der Ton seiner Stimme und sein Geschichtsausdruck die tiefe Sorge über die Zukunft des Regenwaldes.
Was nun ist der „wahre“ Regenwald? Der Wald des Käfers? Der Wald des Spechts? Des Bären? Des Försters? Des Fotografen? Der Wald der Lachse? Der Straßenarbeiter? Der Umweltschützer? Der Holzfäller? Der Ureinwohner? Der Wald des Politikers? Der Fernsehzuschauer? Der Sägemühlenarbeiter? Der Wald der Holzindustrie? Des Ökologen? Wir sind der Ansicht, dass der Regenwald aus all diesen Perspektiven – und vielen anderen – besteht. In diesem Buch geht es darum, wie wir all diese Perspektiven integrieren und ordnen können.
Das Verstehen multipler Perspektiven ist entscheidend wichtig für nachhaltige Lösungen, wie Darcy Riddell bei der Kampagne zur Rettung des Great Bear Rainforest in British Columbia herausfand. Zusammen mit vielen anderen war sie an den Verhandlungen zu dem historischen Abkommen im April 2001 beteiligt, in dem die Provinzregierung und die Holzindustrie zustimmten, große Bereiche des Great Bear Rainforest zu schützen. Zudem stimmten die Parteien überein, dass der gemeinsame Dialog über den Schutz weiterer Teile des Regenwaldes fortgesetzt wird und dass in anderen Teilen des Waldes ökologisch verträgliche Methoden beim Holzfällen angewendet werden. Nach fünf Jahren mit weiteren Verhandlungen wurde am 7. Februar 2006 ein umfassendes Paket mit Maßnahmen zum Schutz des Great Bear Rainforest verabschiedet.
Dieses Paket hat vier Kernelemente: Schutz des Regenwaldes, bessere Methoden beim Holzfällen, das Einbeziehen der Ureinwohner in den Entscheidungsprozess und Finanzierung von Maßnahmen des Naturschutzes, die verschiedene ökonomische Interessen berücksichtigen. Insgesamt wurden fünf Millionen Hektar Wald vor dem Einschlag geschützt, einschließlich neuer Naturparks (3,3 Millionen Hektar), schon bestehender Naturparks (1 Million Hektar) und neuer Zonen, in denen der Holzeinschlag verboten ist (736000 Hektar). Die verschiedenen Interessenvertreter stimmten darin überein, dass die Methoden zur Unterhaltung des Landes den Anforderungen des Naturschutzes entsprechen sollten und ab dem Jahr 2009 ein Ansatz implementiert werden sollte, der auf der Erkenntnis von Ökosystemen beruht. Das allgemeine Rahmenkonzept wurde von allen Ureinwohnern mitentwickelt und befürwortet und garantiert ihnen größeres Mitspracherecht und größere Macht bei der Entscheidungsfindung in Fragen der Entwicklung der Ressourcen in ihren angestammten Gebieten. Und schließlich sammelten US-amerikanische und kanadische Stiftungen und die Regierung von British Columbia 90 Millionen Dollar für ein Finanzierungspaket für Naturschutzprojekte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsprojekte in den Gebieten der kanadischen Ureinwohner.
Laut Riddell, deren Bericht über diese historische Kampagne als Fallstudie im vierten Teil des Buches erscheint, waren die Umweltaktivisten zunächst ausschließlich mit ihrer eigenen Perspektive identifiziert (die Perspektive der ökologischen Wissenschaft), wonach die Abholzung die Ökosysteme der Wälder entlang der Küste ernsthaft bedrohte. Mit diesen Tatsachen als Begründung forderten die meisten Umweltschützer einen vollständigen Stop der Abholzung. Aber damit ignorierten und verdrängten sie die Möglichkeit, dass wohlwollende Einzelne und Gemeinschaften andere Einschätzungen der gleichen Tatsachen vornehmen und verteidigen könnten. Riddell und einige ihrer Kollegen beschäftigten sich mit den verschiedenen ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Faktoren, die den bisherigen Strategien beim Holzeinschlag zugrunde lagen. Sie hatten erkannt, dass alle Beteiligten – einschließlich der Umweltschützer – den Great Bear Rainforest im Lichte zumindest einiger dieser anderen Perspektiven verstehen mussten, um eine nachhaltige, regionale Lösung zu finden. Weil sie verstanden, dass sich viele Menschen mit guten Absichten mit dem Wald verbunden fühlten, begannen Riddell und einige ihrer Kollegen mit Übungen zur persönlichen Transformation, um ihre „subtile Überheblichkeit“ zu verringern, die auf ihrer bisherigen Annahme basierte, dass nur ihre ökologische Perspektive berechtigt sei. In dieser Hinsicht praktizierten Riddell und ihre Kollegen einige wichtige Elemente der integralen Ökologie, obwohl die meisten von ihnen noch nie von integraler Theorie gehört hatten.
Schon bald erkannten die Umweltschützer, dass sie sich ernsthaft mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen mussten, statt die Wirtschaft nur als den Bereich des Menschseins zu sehen, der die meiste Verantwortung an der Zerstörung des Regenwaldes trägt. Deshalb baten sie die Zwischenhändler in Nordamerika, Nutzholz nur von Firmen zu kaufen, die sich verpflichteten, keine gemäßigten Regenwälder zu roden. Diese ökonomische Strategie führte zu einer flexibleren Haltung der Regierungsbeamten in British Columbia, die für die Nutzholzgewinnung zuständig waren. Sie konnten besser auf die Vertreter der Holzfäller zugehen, die sich um den Verlust ihrer angestammten Märkte sorgten. Und die Holzfäller stoppten ihre Hinhaltetaktik, die als „Reden und Roden“ bekannt war, und sie gingen auf Vertreter der Umweltschützer und Ureinwohner zu, was zu immer besseren Verhandlungen führte. Die Kampagne gegen ausgedehnte Rodungen, die auf die Holzhändler abzielte, brachte nicht nur größere ökonomische Vorteile für die Firmen, die nicht mit den Bestrebungen anderer Firmen und der Regierung, den ganzen Wald abzuholzen, übereinstimmten. Sie lenkte auch internationale Aufmerksamkeit und Kritik auf die Abholzungsmethoden der großen Firmen.
Weil ihnen nun Millionen besorgter Menschen über die Schultern schauten, hörten die Konfliktparteien nun ernsthafter und einfühlsamer den Argumenten der Gegenseite zu. So erkannte beispielsweise eine zunehmende Anzahl von Umweltaktivisten die Notwendigkeit, auch die drängenden ökonomischen und sozialen Probleme der Bewohner der Region anzusprechen, deren Leben mit dem Regenwald aufs Innigste verbunden war. Es wurde klar, dass realisierbare Lösungen auch ökonomische Alternativen zu zerstörerischen Rodungsmethoden beinhalten mussten. Als sich die Umweltschützer nicht mehr nur in ihrer „konfrontierenden Identität“ sahen, entwickelten sie sich von „außenstehenden Agitatoren zu lösungsorientierten Partnern“. Leider führte das dazu, dass einige Umweltaktivisten ihren Mitstreitern vorwarfen, sich an die Holzindustrie zu verkaufen. Trotz dieser Anschuldigungen berichtet Riddell, dass „die Verhandlungen es auch ermöglichten, dass sich die Konfliktparteien mit Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt begegnen konnten. Dadurch wurden [integrale] Fertigkeiten des gegenseitigen Verstehens gefördert.“ Wie wir noch sehen werden, beziehen sich integrale Fertigkeiten zum Teil auf die Fähigkeit, die ausschließliche Identifikation mit einer bestimmten Position aufzugeben, wie beispielsweise die moderne (Holzindustrie) oder postmoderne (grüne Umweltschützer) Position, und sich auf verschiedene Perspektiven und Wirklichkeiten einlassen zu können. Riddell schreibt dazu:
Wenn [integrale] Fertigkeiten entstehen, können komplexe Themen und verschiedene Perspektiven leichter in ganzheitliche, langfristige Lösungen integriert werden. Führungskräfte, die mit integralen Fertigkeiten handeln, wirken als kulturelle Katalysatoren für Empathie und Transformation und können in verschiedenen Weltsichten dynamisch engagiert sein. Sie können Menschen mit unterschiedlichen Interessen für gemeinsame ökologische, ökonomische, kulturelle, politische und soziale Ziele motivieren. Führungskräfte mit integralen Perspektiven können gesunde ökologische Weltsichten fördern, gegenseitiges Verstehen unterstützen und individuelle und kulturelle Transformationen mit zunehmender Weite und Tiefe anstoßen.
Die Notwendigkeit einer integralen Ökologie
Die zunehmende Einsicht in die Komplexität ökologischer Probleme hat Führungskräfte in Umweltorganisationen, Regierungen, Unternehmensbüros und Universitäten dazu bewegt, vermehrt nach interdisziplinären, multidisziplinären und sogar transdisziplinären Modellen zu suchen, um die Umweltprobleme zu lösen. Wir stimmen damit überein – wir brauchen eine umfassendere Landkarte, um unsere herausforderndsten Probleme zu verstehen und zu lösen. Riddells Anwendung einer Form der integralen Ökologie zeigt, wie erfolgreich solch eine umfassende Integration verschiedener Perspektiven und Disziplinen sein kann. Aber bis jetzt hatten die meisten von uns keinen Zugang zu einem fundierten theoretischen Modell, das verschiedene Disziplinen und Methoden integriert und ordnet, und zur umfassendsten Lösung führt. Wir sind der Ansicht, dass die integrale Ökologie dieses theoretische Modell ist, das auf den Unterscheidungen der integralen Theorie basiert.
Die integrale Theorie ist ein inhaltsfreier Bezugsrahmen, der von Ken Wilber und seinen Mitarbeitern entwickelt wurde. Laut Wilber „bedeutet das Wort integral so viel wie umfassend, inklusiv, nicht-unterdrückend, einschließend. Integrale Ansätze in jedem Bereich haben genau dieses Ziel: so viele Perspektiven, Denkweisen und Methodologien wie möglich in einem in sich sinnvollen Verständnis eines Themas einzuschließen. In gewissem Sinne sind integrale Ansätze ‚Meta-Paradigmen’ oder Wege, um eine Anzahl schon bestehender, voneinander getrennter Paradigmen miteinander zu verbinden. Und das geschieht in einem auf vielerlei Weise verbundenen Netzwerk von Ansätzen, die sich gegenseitig befruchten.“
Als Folge dieser Anwendbarkeit innerhalb und zwischen den disziplinären Grenzen wurde die integrale Theorie von vielen Menschen in unterschiedlichen Bereichen benutzt. In ihrer Anwendung im Kontext ökologischer Probleme organisiert die integrale Theorie Einsichten aus mehr als 200 verschiedenen Perspektiven, die zu einem umfassenderen Verständnis der beteiligten ökologisch-sozialen Dimensionen beitragen. Sicher besteht eine Notwendigkeit für ein Modell, das diese Organisation und Integration möglich macht, und ganz sicher könnte das Feld der Ökologie solch ein Modell gut gebrauchen.
Das integrale Modell ist der Ansicht, dass es mindestens vier Perspektiven gibt, die nicht aufeinander reduziert werden können, und zwei von ihnen wurden im akademischen und öffentlichen Diskurs über Fragen der Ökologie fast vollkommen vernachlässigt. Wenn wir eine dieser Perspektiven auslassen, kommen wir zu einem unvollständigen Verstehen und leider auch nur zu unvollständigen Lösungen. Wir müssen objektive, interobjektive, subjektive und intersubjektive Perspektiven einschließen. Die objektive Perspektive untersucht die Zusammensetzung und das äußerliche Verhalten individueller Phänomene, einschließlich Menschen, Bären, Lachsen und Käfern. Die interobjektive Perspektive untersucht die Struktur und das äußerliche Verhalten kollektiver Phänomene, von Ökosystemen bis zu politischen und ökonomischen Systemen. Die Daten, die von diesen beiden Perspektiven generiert werden, sind wertvoll, aber diese Daten erschöpfen nicht die „Wirklichkeit“ der untersuchten Phänomene, und sie bieten auch keine Motivation zum Handeln. Diese Motivation entsteht, wenn wir die betreffenden Phänomene durch zwei weitere Perspektiven erfahren – subjektiv (1. Person — ich, mich) und intersubjektiv (2. Person — du, wir). Diese Perspektiven bilden die inneren Aspekte der Phänomene und werden traditionell mit der ästhetischen Erfahrung und den kulturellen Werten assoziiert. Diese Perspektiven sind aus dem akademischen Diskurs über die Ökologie fast völlig verschwunden. Wir können unsere komplexe Innerlichkeit nicht allein durch Methoden der Naturwissenschaft oder Sozialwissenschaft verstehen. Und wir können die natürliche Welt nicht nur durch unsere innerliche Erfahrung verstehen. Wir brauchen beides.
Die integrale Theorie bezeichnet diese nicht reduzierbaren Perspektiven als Quadranten und fasst sie als Erfahrung (subjektiv, 1. Person), Kultur (intersubjektiv, 2. Person), Verhalten (objektiv, 3. Person Singular) und Systeme (objektiv, 3. Person Plural) zusammen. Wir können keine dieser Perspektiven verstehen, wenn wir Methoden benutzen, die dafür bestimmt sind, die Wirklichkeiten einer anderen Perspektive zu analysieren. Somit verhindert die integrale Theorie den Reduktionismus, besonders den „groben Reduktionismus“ oder die Reduzierung der gesamten Wirklichkeit auf individuelle, objektive Phänomene (die Reduzierung aller Innerlichkeiten und Systeme auf Atome oder individuelle „Es“-Phänomene). Aber sie verhindert auch den subtilen Reduktionismus oder die Reduzierung aller Innerlichkeiten auf interobjektive Phänomene (die Reduzierung der „Ich“- und „Wir“-Perspektiven auf miteinander verbundene Systeme, also „Es“-Wirklichkeiten). Die ökologische Wissenschaft neigt typischerweise mehr zu der letzteren Form des Reduktionismus und dieser subtile Reduktionismus hat ein unvollständiges Verstehen der Natur zur Folge und führt weiterhin zu unvollständigen Lösungen für einige unserer schwersten Probleme.
Ganz eindeutig gibt es hier eine Notwendigkeit für subjektive und intersubjektive Perspektiven, weil sie am Verhandlungstisch sitzen (wir haben nicht nur ökologische Probleme, wir haben menschliche Probleme!). Intersubjektivität (2. Person) entsteht zwischen zwei Subjekten: ich und du. Unterschiedliche Menschen werden die gleichen Daten unterschiedlich erfahren und einordnen. Wenn die daran beteiligten Subjekte nicht die kulturellen Hintergründe – die Glaubenssätze, Werte, Normen, religiösen Traditionen und die ethnische Selbstidentifizierung – der anderen Subjekte beachten, wird es schwierig, einen gemeinsamen Boden zu finden und sich zu verstehen. Ohne Verstehen und Flexibilität ist es kaum möglich, sich auf eine nachhaltige Lösung zu einigen. Für die Schaffung eines gemeinsamen Bodens und erfolgreichen, einschließenden Verhandlungen ist es entscheidend wichtig, dass wir die Voraussetzungen und Glaubenssätze, die unser Gegenüber prägen, verstehen, und beobachten, inwieweit unsere eigene Erfahrung von einem unnachgiebigen Festhalten an eine bestimmte Position geprägt ist.
Es ist schwer, einen ehrlichen gegenseitigen Respekt zu erreichen, selbst unter Experten aus verschiedenen Gebieten, denn Experten denken oft, dass ihre bestimmte Methode oder Perspektive die einzig richtige oder die wertvollste ist. Es gibt eine Notwendigkeit für eine integrale Ökologie, die dieser Vorherrschaft einer Methode widersteht – der Annahme, dass eine Perspektive oder einige wenige Perspektiven die einzigen nützlichen und angemessenen Hypothesen zu komplexen ökologischen Problemen geben können. Durch das Vermeiden dieser Vorherrschaft einer Methode schafft die integrale Ökologie einen Meta-Bezugsrahmen, der die unvollständigen Wahrheiten aller Denktraditionen umfasst und in einen Kontext setzt. Mark Edwards bemerkt dazu: „Die integrale Theorie fördert die Entmythisierung [das heißt die Entabsolutisierung, also den Abbau von Absolutismen] und dadurch wirkt es den als heilig verehrten Reduktionismen und Absolutismen entgegen, die von vielen Methodologien praktiziert werden.“ Stattdessen koordiniert und organisiert sie all diese unvollständigen Perspektiven in einem umfassenderen Ganzen.
Die integrale Ökologie untersucht neben den äußeren Gegebenheiten nicht nur die inneren Bereiche, sondern sie untersucht auch, wie diese inneren Dimensionen sich in Lebewesen im Allgemeinen und in Menschen im Besonderen entwickeln. Die integrale Ökologie vertritt die Ansicht, dass alle Organismen subjektive und intersubjektive Dimensionen haben, und beschreibt, wie die innere Entwicklung des Menschen unsere Beziehung zur Natur grundlegend beeinflusst. Bis jetzt haben Ökologen und der ökologische Diskurs meistens eine explizite Anerkennung des Inneren und dessen Entwicklung ausgeschlossen – und seien wir uns darüber im Klaren: Wir müssen unsere innere individuelle und kollektive Beziehung zur Natur verstehen, denn in unserem Inneren finden wir die Motivation, in gesünderer Weise mit der Natur umzugehen.
Um ein Ökosystem konzeptuell zu verstehen, brauchen wir eine weit entwickelte Kognition, eine Ebene von Kognition, die Kinder noch nicht erreicht haben (eine Ebene von Kognition, die vor einigen Jahrhunderten selbst für die meisten Erwachsenen unerreichbar war). Verschiedene Arten von Phänomenen können sich nur in einer angemessenen Perspektive, Öffnung oder einem angemessenen Welt-Raum (world space) manifestieren – und in diesem Sinne auch nur in einem solchen Raum existieren (diesen Punkt werden wir im 5. Kapitel noch ausführlich diskutieren). Wenn der Welt-Raum, der für das Erscheinen eines bestimmten Phänomens notwendig ist, nicht gegeben ist, dann kann dieses Phänomen nicht entstehen. In gewisser Weise gab es Ökosysteme schon lange, bevor Ökologen sie so bezeichnet haben, aber in einer anderen Betrachtungsweise kamen Ökosysteme als besondere Phänomene erst ins Sein, als wir den kognitiven Welt-Raum geschaffen hatten, der für das Erkennen von Ökosystemen notwendig ist. Aber wir sollten uns hier nicht täuschen lassen: Die integrale Theorie ist kein subjektiver Idealismus. Die Dinge existieren wirklich, aber sie manifestieren sich nur in einem Welt-Raum, der ihr Erscheinen erlaubt.
Basierend auf Jahrzehnten der Forschung in Philosophie und Sozialwissenschaften vertritt die integrale Theorie die Auffassung, dass der Geist nicht einfach nur ein Spiegel ist, der eine vorgegebene Wirklichkeit reflektiert. Stattdessen ermöglicht und begrenzt der Geist die Art und Weise wie Dinge erscheinen. Der Welt-Raum, den ein Kind offen halten kann, ist sicher komplexer als der Welt-Raum eines Frosches, aber nicht so komplex, wie der Welt-Raum eines Erwachsenen. Während des Erwachsenwerdens erweitert und vertieft sich der Welt-Raum des Menschen in vielerlei Hinsicht. Weil ein weiteres und umfassenderes Inneres das Entstehen eines größeren Welt-Raums ermöglicht, sind die Schlussfolgerungen über ein bestimmtes Phänomen umfassender und haben deshalb einen größeren Wert als andere Annahmen. Somit ist der integrale Perspektivismus nicht mit dem Relativismus gleichzusetzen. Wir behaupten nicht, dass alle Perspektiven gleich sind. Einige Wahrheiten sind umfasender als andere. Der integrale Perspektivismus ist der Ansicht, dass unvollständige Weltsichten und unvollständige Perspektiven zu unvollständigen Wahrheiten führen. Diese unvollständigen Wahrheiten sind richtig und wichtig, aber sie müssen in einen größeren und umfassenderen Kontext integriert werden. Ohne ein integrales Bezugssystem haben wir momentan kein Rahmenwerk, das in der Lage ist, diese unvollständigen Perspektiven und Weltsichten zu integrieren und zu ordnen. Ganz sicher besteht die Notwendigkeit für solch ein Bezugssystem.
Dieses immer umfassender werdende Muster zeigt sich in allen vier Quadranten – Erfahrung (subjektiv), Verhalten (objektiv), Kultur (intersubjektiv) und Systeme (interobjektiv). So wie sich das Innere entwickelt (wenn sich beispielsweise der Welt-Raum eines Kindes zum komplexeren Welt-Raum des Erwachsenen entwickelt), entwickelt sich auch das Äußere (wenn beispielsweise eine Eichel zu einem Baum wird). Die integrale Ökologie erkennt in allen vier Quadranten oder in allen Dimensionen oder Perspektiven – Systeme, Verhalten, Erfahrung und Kultur – Ebenen der Komplexität:
• Ökosysteme werden durch natürliche und soziale Systeme gebildet und beeinflusst.
• Ökosysteme beinhalten auch das individuelle Verhalten der Organismen, auf allen Ebenen (einschließlich Mikroben und Menschen). Diese Organismen werden als Mitglieder (nicht Teile) des Ökosystems verstanden.
• Mitglieder eines Ökosystems haben eine unterschiedliche Ebene von Innerlichkeit (Wahrnehmung, Erfahrung, Intentionalität und Gewahrsein).
• Mitglieder eines Ökosystems interagieren innerhalb ihrer Spezies und darüber hinaus, um Horizonte der gemeinsamen Bedeutung und des gegenseitigen Verstehens zu schaffen.
Die integrale Ökologie schafft einen Bezugsrahmen, der es ermöglicht, dass alle Aspekte der Wirklichkeit mit dem verbunden werden können, was traditionell als die wissenschaftliche Erforschung der Ökologie bezeichnet wurde. Aber anstatt alle Verbindungen in einer Haltung des „Alles ist Ökologie“ kollabieren zu lassen, betont die integrale Ökologie die Faktoren, die miteinander verbundene Phänomene unterscheiden. Während also alles als miteinander verbunden verstanden werden kann, ist nicht alles in der gleichen Weise oder im gleichen Maße verbunden! Das Cliché, „Alles ist miteinander verbunden“, wird zu „Alles ist miteinander verbunden, aber einige Dinge sind verbundener, als andere“. Mit anderen Worten, es gibt ein Spektrum der gegenseitigen Verbundenheit bei Variablen, was sowohl in Bezug auf die Tiefe als auch auf die Spanne zutrifft. Daraus ergibt sich je nach der Perspektive, die man einnimmt, dass einige „Teile“ in Wirklichkeit nicht sehr verbunden mit anderen „Teilen“ sind.
Die vier Dimensionen jedes Phänomens entstehen zusammen und beeinflussen sich wechselseitig in einer komplexen Art und Weise; und keine davon hat eine ontologische Priorität. Wenn wir also ein ökologisches Problem lösen wollen, müssen wir mehr tun, als nur die ökologisch-systemischen Aspekte untersuchen, also ob beispielsweise ein Umweltgift die Nahrungskette verändert hat. Wir müssen auch untersuchen, wie die Umweltverschmutzung die Aspekte der Ästhetik, Lebensgestaltung, der Wirtschaft und Kultur, der Gemeinschaft und der Organismen, die davon abhängen, beeinflusst, und wie sie von ihnen interpretiert wird.
Zusammengefasst kann man sagen, dass die integrale Ökologie die Entwicklung und Anwendung eines umfassenden Ansatzes für Umweltfragen fördert. Dieser Ansatz ordnet Einsichten aus verschiedenen ökologischen Denkrichtungen in einem umfassenden Bezugssystem. Dieses neue Bezugssystem hat vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten in vielen Kontexten: Outdoor-Schulen, Stadtplanung, Wildnistouren, Gesetzesbildung, Wiederherstellung natürlicher Umgebungen, die Erfassung des Einflusses bestimmter Aktivitäten auf die Umwelt, Entwicklung von Gemeinschaften und grüne Wirtschaft, um nur einige zu nennen. Die integrale Theorie geht über viele Probleme hinaus, die die gegenwärtigen, unvollständigen Ansätze für die Lösung von Umweltproblemen kennzeichnet, und bildet ein Verstehen von Individuen, Gemeinschaften und Systemen, das die Erkenntnisse der Entwicklungsforschung miteinbezieht. Dadurch bezieht sich die integrale Ökologie auf die Expertise vieler Disziplinen und bietet sehr umfassende, weitsichtige und flexible Lösungen für die Umwelt – Lösungen, die das Innere der Tiere und Menschen würdigen, und die uns auf vielen Ebenen in eine gesunde Beziehung zur Erde bringen können.
Aldo Leopolds Entdeckung des Inneren
Aldo Leopold, der Vordenker der angloamerikanischen Umweltbewegung, war Wissenschaftler, Naturforscher, Autor, Umweltaktivist, Jäger und Bauer. Sein Buch A Sand County Almanac, das vor 60 Jahren geschrieben wurde, enthält Elemente einer integralen Ökologie. Er war ein Pionier des Perspektivismus. Im Laufe der Jahre wurde er immer wieder von Ökologen und Umweltschützern als einer der wichtigsten Vordenker in ihrem Forschungsfeld zitiert. In der Tat bezeichnet The Enviromentalist’s Bookshelf Leopolds A Sand County Almanac basierend auf einer Befragung von 200 Experten in Ökologie und Umweltschutz als das einflussreichste Buch unter Umweltschützern.
Leopold beschrieb das Land als die vielen verschiedenen Lebensräume der Erde und die damit verbundenen Lebensformen. Er erkannte, dass die objektiven und interobjektiven (3. Person Singular und Plural) Methoden, die von der Naturwissenschaft benutzt werden, wichtige Erkenntnisse über das Land und die Nutzung des Landes brachten. Aber er dachte, dass die Einsichten, die durch diese Perspektiven zugänglich werden, oftmals nicht verhindern konnten, dass Landschaften auf längere Sicht zerstört wurden. Er glaubte, dass andere Perspektiven dringend notwendig sind, und deshalb nutzte er auch andere, genauso wertvolle subjektive und intersubjektive Perspektiven, die er als ästhetisch (subjektiv), ethisch und kulturell (intersubjektiv) bezeichnete.
Leopolds Ethik des Landes sah die Notwendigkeit voraus, Bewusstsein, Kultur und Natur in der Erforschung der Ökologie miteinzubeziehen, um ein umfassenderes Verständnis zu erreichen. Leopold berichtet, dass seine eigene objektivierende, instrumentelle Haltung (3. Person Singular) gegenüber dem nichtmenschlichen Leben sich veränderte, als er als junger Mann mit ein Paar Freunden ein Reh jagte. Als er dabei ein Rudel Wölfe entdeckte, schoss er auf einen der Wölfe und ein Junges – zu dieser Zeit wurden Wölfe als wertlose, gefährliche Raubtiere betrachtet. Als er zu dem sterbenden Wolf ging, sah er ein „loderndes grünes Feuer in seinen Augen erlöschen“. In diesem Moment erkannte Leopold, dass der Wolf ein wolfsartiges subjektives Empfindungsvermögen hatte und dass der Wolf auch eine intersubjektive Beziehung zu ihm hatte. Weit entfernt von einem Verhaltensmechanismus brachte der Wolf etwas zum Ausdruck, das ähnlich, wenn auch verschieden, von der Sehnsucht, den Wünschen und der Angst war, die auch Leopold selbst erfuhr. Der Wolf hatte sein eigenes Leben. Um den Wolf zu verstehen, musste man mehr tun, als ihn wiegen und messen, und die Funktion seiner Organe untersuchen, sein Verhalten studieren und seine Funktion als eines der größten Raubtiere der Bergwelt verstehen. Dazu war auch ein subjektives und intersubjektives Verstehen und eine damit verbundene Wertschätzung dessen nötig, was es bedeutet, ein Wolf zu sein!
Als jemand, der jahrelang in Regierungsbehörden gearbeitet hatte und als Naturwissenschaftler ausgebildet war, wusste Leopold, dass seine Kollegen, die alle vom reduktionistischen Materialismus und der Verhaltensforschung beeinflusst waren, ihn nicht ernst nehmen würden, wenn er versuchte, Ästhetik und Ethik in die Regelungen der Landnutzung einzuführen. In der Tat war er der Ansicht, dass nichts weniger als ein evolutionärer Fortschritt – ein Fortschritt, bei dem die Menschen lernen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und dadurch die Innerlichkeit anderer Wesen erkennen können – die Gesellschaft über die instrumentelle Sicht der Moderne hinausführen würde, in der das Land einfach ein Rohmaterial für menschliche Zwecke ist.
Aber Leopold konnte seine Intuition, dass Verhaltensforschung (Objektivismus) und Systemtheorie (Interobjektivismus) nur zu einem unvollständigen Verstehen des tierischen Lebens und des Landes führen können, nicht klar artikulieren und vertreten. Er erkannte das grundlegende Paradox des Umweltschutzes: Umweltschützer schätzen die Natur, hängen aber oft einem Verständnis der Natur an, das entweder Werte (subjektive und intersubjektive Perspektiven) ausschließt oder sie als nützliche Erfindung sieht, die das menschliche Überleben begünstigen. In der modernen Kosmologie ist, wie Kant befürchtete, kein Platz für ästhetische Erfahrung, Moral, Bewusstsein und Subjektivität. Umweltschützer sprechen oft über die Natur als ein komplexes, dynamisches System, in dem Menschen, so wie andere Tiere und Pflanzen, einfach nur die Fäden in einem kosmischen Gewebe sind, das weder Hierarchie noch eine Richtung hat. Aber wenn Menschen nur die Fäden in der komplexen Anordnung der Dinge sind – das Sein – dann sind sie nicht dazu in der Lage, nach einer Veränderung des Handelns auf der Basis moralischer Verpflichtung – dem Sollen – zu verlangen.
In diesem Buch bauen wir auf der Arbeit derjenigen auf, die wie Leopold die Notwendigkeit erkannt haben, dass wir die Innerlichkeit des Menschen und der Tiere in unserem Verständnis der Natur und der Beziehung der Menschheit zu ihr miteinbeziehen müssen. Deshalb definieren wir die Ökologie aufbauend auf klassischen Definitionen als die mit verschiedenen Methoden arbeitende Erforschung der subjektiven und objektiven Aspekte von Organismen in Beziehung zu ihrer intersubjektiven und interobjektiven Umgebung auf allen Ebenen der Tiefe und Komplexität.
Innerlichkeiten und Anthropozentrismus
Einige Kritiker (meist wissenschaftliche Ökologen) haben sich beklagt, dass Leopold anthropomorphen Ideen anhing, weil er seine Erfahrungen mit Tieren in der Wildnis personalisiert habe. Nach Ansicht des Positivismus, des Behaviorismus und des eliminativen Materialismus sind wir schon in anthropomorphen Ideen gefangen, wenn wir Menschen Gewahrsein, Innerlichkeit und Persönlichkeit zusprechen! Zusätzlich zum Vorwurf, anthropomorphe Ideen zu verbreiten, haben Umweltschützer ihn auch des Verbrechens des Anthropozentrismus schuldig gesprochen.
Die integrale Ökologie aber transzendiert die Dualität von Anthropozentrismus und Anti-Anthropozentrismus, die so viele ökologische Debatten bestimmt. So wie es ein Fehler der Anhänger des Anthropozentrismus ist, wenn sie nichtmenschliches Leben so behandeln, als hätte es keinen innerlichen Wert, so ist es auch ein Fehler der Vertreter des Anti-Anthropozentrismus, wenn sie ignorieren, dass der Mensch eine herausragende Entwicklung der Evolution auf der Erde ist.
Die integrale Ökologie erscheint vielleicht anthropozentrisch, weil wir in einem der drei Werte (d. h. dem inneren Wert) der Ansicht sind, dass Menschen etwas Besonderes sind, zum Teil deshalb, weil Menschen mit einer inneren Tiefe ausgestattet sind, die es uns ermöglicht, den innerlichen Wert der Natur anzuerkennen! Aber in Bezug auf den äußerlichen Wert sind Menschen nicht so bedeutsam und mit Hinblick auf den grundlegenden Wert sind Menschen von gleichem Wert wie alle anderen Lebensformen. Wie Leopold anmerkt: „Es ist etwas Neues unter der Sonne, wenn eine Spezies den Tod einer anderen Spezies betrauert. Deshalb müssen wir, die wir unsere Wildtauben (Passenger Pigeons, eine nordamerikanische Taubenart, die Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist, A. d. Ü.) verloren haben, darüber klagen. Wäre es unsere Beerdigung gewesen, hätten die Tauben uns wohl kaum betrauert.“
Obwohl der Mensch ein weit entwickeltes Inneres hat und eine erstaunliche Fähigkeit für Sprache, ist das Innerliche nicht auf Menschen beschränkt – das war Leopolds wichtige Erkenntnis. In der Tat ist die integrale Ökologie radikal nicht-anthropozentrisch, weil sie der Ansicht ist, dass das Innerliche „bis ganz nach unten geht“ (d. h., das Innerliche ist ein grundlegendes Merkmal des Universums). Die Fähigkeit der Erfahrung finden wir in der ganzen Natur, wie schwach sie auch sein mag. Ein Reh und ein Mensch haben nicht die gleiche innerliche Erfahrung. Ganz klar ist die Erfahrung des Menschen in bedeutsamer Weise tiefer, aber sie haben beide eine Erfahrung und sie haben beide einen Wert und müssen in einer integralen Ökologie berücksichtigt werden. Ironischerweise kann nur der Mensch eine ökologische Erkenntnis der „Einheit“ mit der Natur entwickeln – und zudem ist die Anzahl der Menschen, die das erkennen, sehr klein und die Anzahl derjenigen, die diese Erkenntnis stabil halten können, noch kleiner. Deshalb ist die ökozentrische Erkenntnis eine anthropozentrische Erfahrung!
Darwin war der Ansicht, dass Menschen nicht das Ergebnis eines besonderen Schöpfungsaktes sind, sondern stattdessen von anderen Tieren abstammen, als Ergebnis zufälliger Mutationen, die sich als angemessen oder vorteilhaft herausgestellt haben. Der darwinistische Naturalismus versteht Menschen als intelligente Tiere, die sich zufällig entwickelt haben. Viele Umweltschützer greifen auf die Evolutionstheorie (und andere wissenschaftliche Konzepte) zurück, um die arrogante Selbstwichtigkeit des Menschen zu reduzieren, was aber manchmal zu einem falschen Umgang mit der nichtmenschlichen Natur geführt hat. In der noblen Absicht, Tiere und Lebensräume vor der durch den Menschen verursachten Zerstörung zu schützen, nehmen viele Umweltschützer anti-anthropozentrische oder gar misanthropische Haltungen ein. In der Tat würden einige radikale Umweltschützer es gar vorziehen, wenn der Mensch als Ganzes verschwinden würde, wodurch angeblich ein Krebsgeschwür aus dem Netz des Lebens entfernt werden würde.
Diese Haltung ist ein Missverständnis. Die Fähigkeit für umfassende moralische Bewertung (selbst die Fähigkeit, menschliches Verhalten als selbstzentrisch zu bewerten) unterscheidet Menschen von anderen Lebewesen. In der Tat haben Umweltschützer eine innerliche Tiefe, die es ihnen erlaubt, andere Menschen aufzufordern, das moralisch Richtige zu tun und ihre Fortpflanzung einzuschränken, Lebensräume zu bewahren und nichtmenschliche Spezies zu schützen. Aber wenn Menschen nur eine weitere Tierart unter vielen anderen sind, ist nichts moralisch Falsches daran, wenn der Mensch andere Spezies verdrängen würde – es wäre ein Ausdruck des Drangs des Universums, die Fortpflanzung zu maximieren (sicher würde weder ein Biologe noch ein Umweltschützer eine nichtmenschliche Spezies moralisch kritisieren, wenn diese ihre Fortpflanzung maximiert). Natürlich kann es zum Zusammenbruch einer Spezies oder zum Aussterben führen, wenn eine Spezies die Belastungsfähigkeit des Lebensraums überschreitet, aber dabei gibt es kein moralisches Fehlverhalten. Wenn wir eine naturalistische Sichtweise der Menschheit akzeptieren, können wir den Menschen nur empfehlen, dem vernünftigen Sollen zu folgen: Wir müssen unser Verhalten gegenüber den nichtmenschlichen Spezies ändern, um das langfristige Überleben und Wohlergehen des Menschen zu sichern. Viele Umweltschützer bestehen aber darauf, dass es hier auch ein moralisches Sollen gibt, dem wir folgen müssen: Wir müssen unser Verhalten, einschließlich unseres Fortpflanzungsdranges, einschränken, damit andere Lebensformen überleben und wachsen können. Diese Empfehlung ist ein Missverständnis, weil sie nicht mit der naturalistischen Sichtweise in Übereinstimmung gebracht werden kann, nach der der Mensch nur eine Spezies unter anderen ist, und an die gleichen Gesetze gebunden ist wie alle anderen Spezies. Wir bezeichnen keine andere Spezies als unmoralisch, wenn sie ihre eigenen Überlebenschancen maximiert. Wenn wir ähnliches menschliches Verhalten als unmoralisch bezeichnen, dann tun wir das vor dem Hintergrund, dass der Mensch sich von allen anderen bekannten Spezies in bedeutsamer Weise unterscheidet. Die (oft unausgesprochene) Voraussetzung, dass nur Menschen für ihr Verhalten moralisch verantwortlich sind, erinnert uns daran, dass mit der Emergenz der menschlichen Spezies etwas Neues, Außergewöhnliches und Gefährliches auf der Erde geschehen ist. Wir werden das integrale Modell und diese wichtigen Diskussionen – die die Beziehung des Menschen mit der Natur bestimmen und verzerren können – im weiteren Verlauf des Buches vertiefen.
Klappentext:
Es gibt heute eine Vielzahl von unterschiedlichen Perspektiven zu Ökologie, Natur und auch der drohenden Klimakatastrophe, die sich nicht selten grundlegend widersprechen.
Doch wie können wir all diese wertvollen Ansichten auf die natürliche Welt – formuliert von vielen Wissenschaftlern, Ökologen, Aktivisten und Philosophen – vereinen und zu einer umfassenden Perspektive kommen, um unsere Umweltprobleme effektiv in den Griff zu bekommen und in einem angemessenen Einklang mit unserer natürlichen Umwelt zu leben?
Integrale Ökologie wendet die Integrale Theorie Ken Wilbers auf unsere Umwelt und unser Verständnis der Natur an, und integriert damit all die unterschiedliche Theorien, Ansätze und wertvollen Einsichten in einem umfassenden Modell, welches unmittelbar umgesetzt werden kann.
Aus dem Buch:
Wem gehört die Umwelt?
Eingegraben mit seinen Vorderfüßen streckt ein Käfer seine Fühler aus, um ein schmackhaftes Stück verfaulenden Holzes zu greifen, ein paar Zentimeter im Innern einer zweihundert Jahre alten Douglasie, die vor Jahren, geschwächt durch ihr Alter, von einem Sturm gefällt wurde. Ein hungriger Specht hüpft auf dem vermodernden Baum herum und sucht nach Insekten und beginnt mit seinem hastigen Picken, das noch ein oder zwei Kilometer entfernt zu hören ist. Ein Bär stellt bei dem hämmernden Klang dieser Baumarbeiten seine Ohren auf, während er zwischen den Zedern und Fichten dahinschlendert. Er ist auf dem Weg zu seinem Lieblingsfluss, der nun voll mit Lachsen ist, die zu ihren Laichgründen schwimmen.
Über dem gleichen tiefen Tal, das vor Tausenden von Jahren von Gletschern geformt wurde, fliegt im Hubschrauber ein Förster aus British Columbia, der Untersuchungen über den Zustand des Nutzholzes an der mittleren und nördlichen Pazifikküste anstellt. Um die Mittagszeit bewegt sich ein Fotograf nahe an einen Grizzly heran, um ein Foto davon zu machen, wie der Bär einhändig einen Lachs fängt, der zur Spitze des Wasserfalls springt.
Derweil benutzt in einem Seitental eine Gruppe von Arbeitern Kettensägen und Planierraupen, um eine Straße zu bauen, die gebraucht wird, um Bäume abzutransportieren, die auf Märkten fernab verkauft werden sollen. Einige Umweltaktivisten organisieren eine Sitzblockade, um den Straßenbau zu verhindern, und liefern sich ein Rufgefecht mit den Straßenbauern und Holzfällern. Die Holzfäller rufen ihnen zu, dass sie wieder zurück in die Stadt gehen sollen, damit Einheimische sich ihr Geld mit echter Arbeit verdienen können.
Eine lokale Versammlung von Ureinwohnern, die lange vom Lachsfang leben konnten, geben eine erneute gerichtliche Beschwerde bekannt, um das Land ihrer Vorfahren wiederzubekommen – Berge und Flüsse, Pflanzen und Tiere, Friedhöfe und Ritualplätze – dessen Zukunft vor allem von den Nachfahren europäischer Einwanderer vereinnahmt wird.
Ein Politiker in Victoria wird von Wählern bedrängt, die es vehement ablehnen, dass der Regenwald an den Küsten abgeholzt wird. An diesem Abend wird in den Nachrichten darüber berichtet, wodurch Zuschauer in ganz Nordamerika erfahren, dass über das Schicksal des Great Bear Rainforest – auch bekannt als Nutzholzreservoir der mittleren und nördlichen Pazifikküste – ein Streit ausgebrochen ist. Diese Zuschauer knüpfen schnell die Verbindung zwischen dieser bedrohten Region und anderen verschwindenden Regenwäldern. In einer anderen Fernsehsendung nutzt ein Wissenschaftler, der auf die Erforschung von Ökosystemen spezialisiert ist, Satellitenbilder und GIS (Geoinformationssysteme), um zu zeigen, dass der Regenwald, um den es hier geht, die Größe eines kleinen Landes hat, dass große Teile davon schon zerstört wurden und dass in zwanzig Jahren – bei dem jetzigen Holzeinschlag – der Baumbestand vor allem aus Bauholz und Nutzholz für gierige Konsumenten bestehen wird. Obwohl er eigentlich als unparteiischer Experte spricht, zeigen der Ton seiner Stimme und sein Geschichtsausdruck die tiefe Sorge über die Zukunft des Regenwaldes.
Was nun ist der „wahre“ Regenwald? Der Wald des Käfers? Der Wald des Spechts? Des Bären? Des Försters? Des Fotografen? Der Wald der Lachse? Der Straßenarbeiter? Der Umweltschützer? Der Holzfäller? Der Ureinwohner? Der Wald des Politikers? Der Fernsehzuschauer? Der Sägemühlenarbeiter? Der Wald der Holzindustrie? Des Ökologen? Wir sind der Ansicht, dass der Regenwald aus all diesen Perspektiven – und vielen anderen – besteht. In diesem Buch geht es darum, wie wir all diese Perspektiven integrieren und ordnen können.
Das Verstehen multipler Perspektiven ist entscheidend wichtig für nachhaltige Lösungen, wie Darcy Riddell bei der Kampagne zur Rettung des Great Bear Rainforest in British Columbia herausfand. Zusammen mit vielen anderen war sie an den Verhandlungen zu dem historischen Abkommen im April 2001 beteiligt, in dem die Provinzregierung und die Holzindustrie zustimmten, große Bereiche des Great Bear Rainforest zu schützen. Zudem stimmten die Parteien überein, dass der gemeinsame Dialog über den Schutz weiterer Teile des Regenwaldes fortgesetzt wird und dass in anderen Teilen des Waldes ökologisch verträgliche Methoden beim Holzfällen angewendet werden. Nach fünf Jahren mit weiteren Verhandlungen wurde am 7. Februar 2006 ein umfassendes Paket mit Maßnahmen zum Schutz des Great Bear Rainforest verabschiedet.
Dieses Paket hat vier Kernelemente: Schutz des Regenwaldes, bessere Methoden beim Holzfällen, das Einbeziehen der Ureinwohner in den Entscheidungsprozess und Finanzierung von Maßnahmen des Naturschutzes, die verschiedene ökonomische Interessen berücksichtigen. Insgesamt wurden fünf Millionen Hektar Wald vor dem Einschlag geschützt, einschließlich neuer Naturparks (3,3 Millionen Hektar), schon bestehender Naturparks (1 Million Hektar) und neuer Zonen, in denen der Holzeinschlag verboten ist (736000 Hektar). Die verschiedenen Interessenvertreter stimmten darin überein, dass die Methoden zur Unterhaltung des Landes den Anforderungen des Naturschutzes entsprechen sollten und ab dem Jahr 2009 ein Ansatz implementiert werden sollte, der auf der Erkenntnis von Ökosystemen beruht. Das allgemeine Rahmenkonzept wurde von allen Ureinwohnern mitentwickelt und befürwortet und garantiert ihnen größeres Mitspracherecht und größere Macht bei der Entscheidungsfindung in Fragen der Entwicklung der Ressourcen in ihren angestammten Gebieten. Und schließlich sammelten US-amerikanische und kanadische Stiftungen und die Regierung von British Columbia 90 Millionen Dollar für ein Finanzierungspaket für Naturschutzprojekte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsprojekte in den Gebieten der kanadischen Ureinwohner.
Laut Riddell, deren Bericht über diese historische Kampagne als Fallstudie im vierten Teil des Buches erscheint, waren die Umweltaktivisten zunächst ausschließlich mit ihrer eigenen Perspektive identifiziert (die Perspektive der ökologischen Wissenschaft), wonach die Abholzung die Ökosysteme der Wälder entlang der Küste ernsthaft bedrohte. Mit diesen Tatsachen als Begründung forderten die meisten Umweltschützer einen vollständigen Stop der Abholzung. Aber damit ignorierten und verdrängten sie die Möglichkeit, dass wohlwollende Einzelne und Gemeinschaften andere Einschätzungen der gleichen Tatsachen vornehmen und verteidigen könnten. Riddell und einige ihrer Kollegen beschäftigten sich mit den verschiedenen ökonomischen, politischen, kulturellen und sozialen Faktoren, die den bisherigen Strategien beim Holzeinschlag zugrunde lagen. Sie hatten erkannt, dass alle Beteiligten – einschließlich der Umweltschützer – den Great Bear Rainforest im Lichte zumindest einiger dieser anderen Perspektiven verstehen mussten, um eine nachhaltige, regionale Lösung zu finden. Weil sie verstanden, dass sich viele Menschen mit guten Absichten mit dem Wald verbunden fühlten, begannen Riddell und einige ihrer Kollegen mit Übungen zur persönlichen Transformation, um ihre „subtile Überheblichkeit“ zu verringern, die auf ihrer bisherigen Annahme basierte, dass nur ihre ökologische Perspektive berechtigt sei. In dieser Hinsicht praktizierten Riddell und ihre Kollegen einige wichtige Elemente der integralen Ökologie, obwohl die meisten von ihnen noch nie von integraler Theorie gehört hatten.
Schon bald erkannten die Umweltschützer, dass sie sich ernsthaft mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigen mussten, statt die Wirtschaft nur als den Bereich des Menschseins zu sehen, der die meiste Verantwortung an der Zerstörung des Regenwaldes trägt. Deshalb baten sie die Zwischenhändler in Nordamerika, Nutzholz nur von Firmen zu kaufen, die sich verpflichteten, keine gemäßigten Regenwälder zu roden. Diese ökonomische Strategie führte zu einer flexibleren Haltung der Regierungsbeamten in British Columbia, die für die Nutzholzgewinnung zuständig waren. Sie konnten besser auf die Vertreter der Holzfäller zugehen, die sich um den Verlust ihrer angestammten Märkte sorgten. Und die Holzfäller stoppten ihre Hinhaltetaktik, die als „Reden und Roden“ bekannt war, und sie gingen auf Vertreter der Umweltschützer und Ureinwohner zu, was zu immer besseren Verhandlungen führte. Die Kampagne gegen ausgedehnte Rodungen, die auf die Holzhändler abzielte, brachte nicht nur größere ökonomische Vorteile für die Firmen, die nicht mit den Bestrebungen anderer Firmen und der Regierung, den ganzen Wald abzuholzen, übereinstimmten. Sie lenkte auch internationale Aufmerksamkeit und Kritik auf die Abholzungsmethoden der großen Firmen.
Weil ihnen nun Millionen besorgter Menschen über die Schultern schauten, hörten die Konfliktparteien nun ernsthafter und einfühlsamer den Argumenten der Gegenseite zu. So erkannte beispielsweise eine zunehmende Anzahl von Umweltaktivisten die Notwendigkeit, auch die drängenden ökonomischen und sozialen Probleme der Bewohner der Region anzusprechen, deren Leben mit dem Regenwald aufs Innigste verbunden war. Es wurde klar, dass realisierbare Lösungen auch ökonomische Alternativen zu zerstörerischen Rodungsmethoden beinhalten mussten. Als sich die Umweltschützer nicht mehr nur in ihrer „konfrontierenden Identität“ sahen, entwickelten sie sich von „außenstehenden Agitatoren zu lösungsorientierten Partnern“. Leider führte das dazu, dass einige Umweltaktivisten ihren Mitstreitern vorwarfen, sich an die Holzindustrie zu verkaufen. Trotz dieser Anschuldigungen berichtet Riddell, dass „die Verhandlungen es auch ermöglichten, dass sich die Konfliktparteien mit Menschlichkeit und gegenseitigem Respekt begegnen konnten. Dadurch wurden [integrale] Fertigkeiten des gegenseitigen Verstehens gefördert.“ Wie wir noch sehen werden, beziehen sich integrale Fertigkeiten zum Teil auf die Fähigkeit, die ausschließliche Identifikation mit einer bestimmten Position aufzugeben, wie beispielsweise die moderne (Holzindustrie) oder postmoderne (grüne Umweltschützer) Position, und sich auf verschiedene Perspektiven und Wirklichkeiten einlassen zu können. Riddell schreibt dazu:
Wenn [integrale] Fertigkeiten entstehen, können komplexe Themen und verschiedene Perspektiven leichter in ganzheitliche, langfristige Lösungen integriert werden. Führungskräfte, die mit integralen Fertigkeiten handeln, wirken als kulturelle Katalysatoren für Empathie und Transformation und können in verschiedenen Weltsichten dynamisch engagiert sein. Sie können Menschen mit unterschiedlichen Interessen für gemeinsame ökologische, ökonomische, kulturelle, politische und soziale Ziele motivieren. Führungskräfte mit integralen Perspektiven können gesunde ökologische Weltsichten fördern, gegenseitiges Verstehen unterstützen und individuelle und kulturelle Transformationen mit zunehmender Weite und Tiefe anstoßen.
Die Notwendigkeit einer integralen Ökologie
Die zunehmende Einsicht in die Komplexität ökologischer Probleme hat Führungskräfte in Umweltorganisationen, Regierungen, Unternehmensbüros und Universitäten dazu bewegt, vermehrt nach interdisziplinären, multidisziplinären und sogar transdisziplinären Modellen zu suchen, um die Umweltprobleme zu lösen. Wir stimmen damit überein – wir brauchen eine umfassendere Landkarte, um unsere herausforderndsten Probleme zu verstehen und zu lösen. Riddells Anwendung einer Form der integralen Ökologie zeigt, wie erfolgreich solch eine umfassende Integration verschiedener Perspektiven und Disziplinen sein kann. Aber bis jetzt hatten die meisten von uns keinen Zugang zu einem fundierten theoretischen Modell, das verschiedene Disziplinen und Methoden integriert und ordnet, und zur umfassendsten Lösung führt. Wir sind der Ansicht, dass die integrale Ökologie dieses theoretische Modell ist, das auf den Unterscheidungen der integralen Theorie basiert.
Die integrale Theorie ist ein inhaltsfreier Bezugsrahmen, der von Ken Wilber und seinen Mitarbeitern entwickelt wurde. Laut Wilber „bedeutet das Wort integral so viel wie umfassend, inklusiv, nicht-unterdrückend, einschließend. Integrale Ansätze in jedem Bereich haben genau dieses Ziel: so viele Perspektiven, Denkweisen und Methodologien wie möglich in einem in sich sinnvollen Verständnis eines Themas einzuschließen. In gewissem Sinne sind integrale Ansätze ‚Meta-Paradigmen’ oder Wege, um eine Anzahl schon bestehender, voneinander getrennter Paradigmen miteinander zu verbinden. Und das geschieht in einem auf vielerlei Weise verbundenen Netzwerk von Ansätzen, die sich gegenseitig befruchten.“
Als Folge dieser Anwendbarkeit innerhalb und zwischen den disziplinären Grenzen wurde die integrale Theorie von vielen Menschen in unterschiedlichen Bereichen benutzt. In ihrer Anwendung im Kontext ökologischer Probleme organisiert die integrale Theorie Einsichten aus mehr als 200 verschiedenen Perspektiven, die zu einem umfassenderen Verständnis der beteiligten ökologisch-sozialen Dimensionen beitragen. Sicher besteht eine Notwendigkeit für ein Modell, das diese Organisation und Integration möglich macht, und ganz sicher könnte das Feld der Ökologie solch ein Modell gut gebrauchen.
Das integrale Modell ist der Ansicht, dass es mindestens vier Perspektiven gibt, die nicht aufeinander reduziert werden können, und zwei von ihnen wurden im akademischen und öffentlichen Diskurs über Fragen der Ökologie fast vollkommen vernachlässigt. Wenn wir eine dieser Perspektiven auslassen, kommen wir zu einem unvollständigen Verstehen und leider auch nur zu unvollständigen Lösungen. Wir müssen objektive, interobjektive, subjektive und intersubjektive Perspektiven einschließen. Die objektive Perspektive untersucht die Zusammensetzung und das äußerliche Verhalten individueller Phänomene, einschließlich Menschen, Bären, Lachsen und Käfern. Die interobjektive Perspektive untersucht die Struktur und das äußerliche Verhalten kollektiver Phänomene, von Ökosystemen bis zu politischen und ökonomischen Systemen. Die Daten, die von diesen beiden Perspektiven generiert werden, sind wertvoll, aber diese Daten erschöpfen nicht die „Wirklichkeit“ der untersuchten Phänomene, und sie bieten auch keine Motivation zum Handeln. Diese Motivation entsteht, wenn wir die betreffenden Phänomene durch zwei weitere Perspektiven erfahren – subjektiv (1. Person — ich, mich) und intersubjektiv (2. Person — du, wir). Diese Perspektiven bilden die inneren Aspekte der Phänomene und werden traditionell mit der ästhetischen Erfahrung und den kulturellen Werten assoziiert. Diese Perspektiven sind aus dem akademischen Diskurs über die Ökologie fast völlig verschwunden. Wir können unsere komplexe Innerlichkeit nicht allein durch Methoden der Naturwissenschaft oder Sozialwissenschaft verstehen. Und wir können die natürliche Welt nicht nur durch unsere innerliche Erfahrung verstehen. Wir brauchen beides.
Die integrale Theorie bezeichnet diese nicht reduzierbaren Perspektiven als Quadranten und fasst sie als Erfahrung (subjektiv, 1. Person), Kultur (intersubjektiv, 2. Person), Verhalten (objektiv, 3. Person Singular) und Systeme (objektiv, 3. Person Plural) zusammen. Wir können keine dieser Perspektiven verstehen, wenn wir Methoden benutzen, die dafür bestimmt sind, die Wirklichkeiten einer anderen Perspektive zu analysieren. Somit verhindert die integrale Theorie den Reduktionismus, besonders den „groben Reduktionismus“ oder die Reduzierung der gesamten Wirklichkeit auf individuelle, objektive Phänomene (die Reduzierung aller Innerlichkeiten und Systeme auf Atome oder individuelle „Es“-Phänomene). Aber sie verhindert auch den subtilen Reduktionismus oder die Reduzierung aller Innerlichkeiten auf interobjektive Phänomene (die Reduzierung der „Ich“- und „Wir“-Perspektiven auf miteinander verbundene Systeme, also „Es“-Wirklichkeiten). Die ökologische Wissenschaft neigt typischerweise mehr zu der letzteren Form des Reduktionismus und dieser subtile Reduktionismus hat ein unvollständiges Verstehen der Natur zur Folge und führt weiterhin zu unvollständigen Lösungen für einige unserer schwersten Probleme.
Ganz eindeutig gibt es hier eine Notwendigkeit für subjektive und intersubjektive Perspektiven, weil sie am Verhandlungstisch sitzen (wir haben nicht nur ökologische Probleme, wir haben menschliche Probleme!). Intersubjektivität (2. Person) entsteht zwischen zwei Subjekten: ich und du. Unterschiedliche Menschen werden die gleichen Daten unterschiedlich erfahren und einordnen. Wenn die daran beteiligten Subjekte nicht die kulturellen Hintergründe – die Glaubenssätze, Werte, Normen, religiösen Traditionen und die ethnische Selbstidentifizierung – der anderen Subjekte beachten, wird es schwierig, einen gemeinsamen Boden zu finden und sich zu verstehen. Ohne Verstehen und Flexibilität ist es kaum möglich, sich auf eine nachhaltige Lösung zu einigen. Für die Schaffung eines gemeinsamen Bodens und erfolgreichen, einschließenden Verhandlungen ist es entscheidend wichtig, dass wir die Voraussetzungen und Glaubenssätze, die unser Gegenüber prägen, verstehen, und beobachten, inwieweit unsere eigene Erfahrung von einem unnachgiebigen Festhalten an eine bestimmte Position geprägt ist.
Es ist schwer, einen ehrlichen gegenseitigen Respekt zu erreichen, selbst unter Experten aus verschiedenen Gebieten, denn Experten denken oft, dass ihre bestimmte Methode oder Perspektive die einzig richtige oder die wertvollste ist. Es gibt eine Notwendigkeit für eine integrale Ökologie, die dieser Vorherrschaft einer Methode widersteht – der Annahme, dass eine Perspektive oder einige wenige Perspektiven die einzigen nützlichen und angemessenen Hypothesen zu komplexen ökologischen Problemen geben können. Durch das Vermeiden dieser Vorherrschaft einer Methode schafft die integrale Ökologie einen Meta-Bezugsrahmen, der die unvollständigen Wahrheiten aller Denktraditionen umfasst und in einen Kontext setzt. Mark Edwards bemerkt dazu: „Die integrale Theorie fördert die Entmythisierung [das heißt die Entabsolutisierung, also den Abbau von Absolutismen] und dadurch wirkt es den als heilig verehrten Reduktionismen und Absolutismen entgegen, die von vielen Methodologien praktiziert werden.“ Stattdessen koordiniert und organisiert sie all diese unvollständigen Perspektiven in einem umfassenderen Ganzen.
Die integrale Ökologie untersucht neben den äußeren Gegebenheiten nicht nur die inneren Bereiche, sondern sie untersucht auch, wie diese inneren Dimensionen sich in Lebewesen im Allgemeinen und in Menschen im Besonderen entwickeln. Die integrale Ökologie vertritt die Ansicht, dass alle Organismen subjektive und intersubjektive Dimensionen haben, und beschreibt, wie die innere Entwicklung des Menschen unsere Beziehung zur Natur grundlegend beeinflusst. Bis jetzt haben Ökologen und der ökologische Diskurs meistens eine explizite Anerkennung des Inneren und dessen Entwicklung ausgeschlossen – und seien wir uns darüber im Klaren: Wir müssen unsere innere individuelle und kollektive Beziehung zur Natur verstehen, denn in unserem Inneren finden wir die Motivation, in gesünderer Weise mit der Natur umzugehen.
Um ein Ökosystem konzeptuell zu verstehen, brauchen wir eine weit entwickelte Kognition, eine Ebene von Kognition, die Kinder noch nicht erreicht haben (eine Ebene von Kognition, die vor einigen Jahrhunderten selbst für die meisten Erwachsenen unerreichbar war). Verschiedene Arten von Phänomenen können sich nur in einer angemessenen Perspektive, Öffnung oder einem angemessenen Welt-Raum (world space) manifestieren – und in diesem Sinne auch nur in einem solchen Raum existieren (diesen Punkt werden wir im 5. Kapitel noch ausführlich diskutieren). Wenn der Welt-Raum, der für das Erscheinen eines bestimmten Phänomens notwendig ist, nicht gegeben ist, dann kann dieses Phänomen nicht entstehen. In gewisser Weise gab es Ökosysteme schon lange, bevor Ökologen sie so bezeichnet haben, aber in einer anderen Betrachtungsweise kamen Ökosysteme als besondere Phänomene erst ins Sein, als wir den kognitiven Welt-Raum geschaffen hatten, der für das Erkennen von Ökosystemen notwendig ist. Aber wir sollten uns hier nicht täuschen lassen: Die integrale Theorie ist kein subjektiver Idealismus. Die Dinge existieren wirklich, aber sie manifestieren sich nur in einem Welt-Raum, der ihr Erscheinen erlaubt.
Basierend auf Jahrzehnten der Forschung in Philosophie und Sozialwissenschaften vertritt die integrale Theorie die Auffassung, dass der Geist nicht einfach nur ein Spiegel ist, der eine vorgegebene Wirklichkeit reflektiert. Stattdessen ermöglicht und begrenzt der Geist die Art und Weise wie Dinge erscheinen. Der Welt-Raum, den ein Kind offen halten kann, ist sicher komplexer als der Welt-Raum eines Frosches, aber nicht so komplex, wie der Welt-Raum eines Erwachsenen. Während des Erwachsenwerdens erweitert und vertieft sich der Welt-Raum des Menschen in vielerlei Hinsicht. Weil ein weiteres und umfassenderes Inneres das Entstehen eines größeren Welt-Raums ermöglicht, sind die Schlussfolgerungen über ein bestimmtes Phänomen umfassender und haben deshalb einen größeren Wert als andere Annahmen. Somit ist der integrale Perspektivismus nicht mit dem Relativismus gleichzusetzen. Wir behaupten nicht, dass alle Perspektiven gleich sind. Einige Wahrheiten sind umfasender als andere. Der integrale Perspektivismus ist der Ansicht, dass unvollständige Weltsichten und unvollständige Perspektiven zu unvollständigen Wahrheiten führen. Diese unvollständigen Wahrheiten sind richtig und wichtig, aber sie müssen in einen größeren und umfassenderen Kontext integriert werden. Ohne ein integrales Bezugssystem haben wir momentan kein Rahmenwerk, das in der Lage ist, diese unvollständigen Perspektiven und Weltsichten zu integrieren und zu ordnen. Ganz sicher besteht die Notwendigkeit für solch ein Bezugssystem.
Dieses immer umfassender werdende Muster zeigt sich in allen vier Quadranten – Erfahrung (subjektiv), Verhalten (objektiv), Kultur (intersubjektiv) und Systeme (interobjektiv). So wie sich das Innere entwickelt (wenn sich beispielsweise der Welt-Raum eines Kindes zum komplexeren Welt-Raum des Erwachsenen entwickelt), entwickelt sich auch das Äußere (wenn beispielsweise eine Eichel zu einem Baum wird). Die integrale Ökologie erkennt in allen vier Quadranten oder in allen Dimensionen oder Perspektiven – Systeme, Verhalten, Erfahrung und Kultur – Ebenen der Komplexität:
• Ökosysteme werden durch natürliche und soziale Systeme gebildet und beeinflusst.
• Ökosysteme beinhalten auch das individuelle Verhalten der Organismen, auf allen Ebenen (einschließlich Mikroben und Menschen). Diese Organismen werden als Mitglieder (nicht Teile) des Ökosystems verstanden.
• Mitglieder eines Ökosystems haben eine unterschiedliche Ebene von Innerlichkeit (Wahrnehmung, Erfahrung, Intentionalität und Gewahrsein).
• Mitglieder eines Ökosystems interagieren innerhalb ihrer Spezies und darüber hinaus, um Horizonte der gemeinsamen Bedeutung und des gegenseitigen Verstehens zu schaffen.
Die integrale Ökologie schafft einen Bezugsrahmen, der es ermöglicht, dass alle Aspekte der Wirklichkeit mit dem verbunden werden können, was traditionell als die wissenschaftliche Erforschung der Ökologie bezeichnet wurde. Aber anstatt alle Verbindungen in einer Haltung des „Alles ist Ökologie“ kollabieren zu lassen, betont die integrale Ökologie die Faktoren, die miteinander verbundene Phänomene unterscheiden. Während also alles als miteinander verbunden verstanden werden kann, ist nicht alles in der gleichen Weise oder im gleichen Maße verbunden! Das Cliché, „Alles ist miteinander verbunden“, wird zu „Alles ist miteinander verbunden, aber einige Dinge sind verbundener, als andere“. Mit anderen Worten, es gibt ein Spektrum der gegenseitigen Verbundenheit bei Variablen, was sowohl in Bezug auf die Tiefe als auch auf die Spanne zutrifft. Daraus ergibt sich je nach der Perspektive, die man einnimmt, dass einige „Teile“ in Wirklichkeit nicht sehr verbunden mit anderen „Teilen“ sind.
Die vier Dimensionen jedes Phänomens entstehen zusammen und beeinflussen sich wechselseitig in einer komplexen Art und Weise; und keine davon hat eine ontologische Priorität. Wenn wir also ein ökologisches Problem lösen wollen, müssen wir mehr tun, als nur die ökologisch-systemischen Aspekte untersuchen, also ob beispielsweise ein Umweltgift die Nahrungskette verändert hat. Wir müssen auch untersuchen, wie die Umweltverschmutzung die Aspekte der Ästhetik, Lebensgestaltung, der Wirtschaft und Kultur, der Gemeinschaft und der Organismen, die davon abhängen, beeinflusst, und wie sie von ihnen interpretiert wird.
Zusammengefasst kann man sagen, dass die integrale Ökologie die Entwicklung und Anwendung eines umfassenden Ansatzes für Umweltfragen fördert. Dieser Ansatz ordnet Einsichten aus verschiedenen ökologischen Denkrichtungen in einem umfassenden Bezugssystem. Dieses neue Bezugssystem hat vielversprechende Anwendungsmöglichkeiten in vielen Kontexten: Outdoor-Schulen, Stadtplanung, Wildnistouren, Gesetzesbildung, Wiederherstellung natürlicher Umgebungen, die Erfassung des Einflusses bestimmter Aktivitäten auf die Umwelt, Entwicklung von Gemeinschaften und grüne Wirtschaft, um nur einige zu nennen. Die integrale Theorie geht über viele Probleme hinaus, die die gegenwärtigen, unvollständigen Ansätze für die Lösung von Umweltproblemen kennzeichnet, und bildet ein Verstehen von Individuen, Gemeinschaften und Systemen, das die Erkenntnisse der Entwicklungsforschung miteinbezieht. Dadurch bezieht sich die integrale Ökologie auf die Expertise vieler Disziplinen und bietet sehr umfassende, weitsichtige und flexible Lösungen für die Umwelt – Lösungen, die das Innere der Tiere und Menschen würdigen, und die uns auf vielen Ebenen in eine gesunde Beziehung zur Erde bringen können.
Aldo Leopolds Entdeckung des Inneren
Aldo Leopold, der Vordenker der angloamerikanischen Umweltbewegung, war Wissenschaftler, Naturforscher, Autor, Umweltaktivist, Jäger und Bauer. Sein Buch A Sand County Almanac, das vor 60 Jahren geschrieben wurde, enthält Elemente einer integralen Ökologie. Er war ein Pionier des Perspektivismus. Im Laufe der Jahre wurde er immer wieder von Ökologen und Umweltschützern als einer der wichtigsten Vordenker in ihrem Forschungsfeld zitiert. In der Tat bezeichnet The Enviromentalist’s Bookshelf Leopolds A Sand County Almanac basierend auf einer Befragung von 200 Experten in Ökologie und Umweltschutz als das einflussreichste Buch unter Umweltschützern.
Leopold beschrieb das Land als die vielen verschiedenen Lebensräume der Erde und die damit verbundenen Lebensformen. Er erkannte, dass die objektiven und interobjektiven (3. Person Singular und Plural) Methoden, die von der Naturwissenschaft benutzt werden, wichtige Erkenntnisse über das Land und die Nutzung des Landes brachten. Aber er dachte, dass die Einsichten, die durch diese Perspektiven zugänglich werden, oftmals nicht verhindern konnten, dass Landschaften auf längere Sicht zerstört wurden. Er glaubte, dass andere Perspektiven dringend notwendig sind, und deshalb nutzte er auch andere, genauso wertvolle subjektive und intersubjektive Perspektiven, die er als ästhetisch (subjektiv), ethisch und kulturell (intersubjektiv) bezeichnete.
Leopolds Ethik des Landes sah die Notwendigkeit voraus, Bewusstsein, Kultur und Natur in der Erforschung der Ökologie miteinzubeziehen, um ein umfassenderes Verständnis zu erreichen. Leopold berichtet, dass seine eigene objektivierende, instrumentelle Haltung (3. Person Singular) gegenüber dem nichtmenschlichen Leben sich veränderte, als er als junger Mann mit ein Paar Freunden ein Reh jagte. Als er dabei ein Rudel Wölfe entdeckte, schoss er auf einen der Wölfe und ein Junges – zu dieser Zeit wurden Wölfe als wertlose, gefährliche Raubtiere betrachtet. Als er zu dem sterbenden Wolf ging, sah er ein „loderndes grünes Feuer in seinen Augen erlöschen“. In diesem Moment erkannte Leopold, dass der Wolf ein wolfsartiges subjektives Empfindungsvermögen hatte und dass der Wolf auch eine intersubjektive Beziehung zu ihm hatte. Weit entfernt von einem Verhaltensmechanismus brachte der Wolf etwas zum Ausdruck, das ähnlich, wenn auch verschieden, von der Sehnsucht, den Wünschen und der Angst war, die auch Leopold selbst erfuhr. Der Wolf hatte sein eigenes Leben. Um den Wolf zu verstehen, musste man mehr tun, als ihn wiegen und messen, und die Funktion seiner Organe untersuchen, sein Verhalten studieren und seine Funktion als eines der größten Raubtiere der Bergwelt verstehen. Dazu war auch ein subjektives und intersubjektives Verstehen und eine damit verbundene Wertschätzung dessen nötig, was es bedeutet, ein Wolf zu sein!
Als jemand, der jahrelang in Regierungsbehörden gearbeitet hatte und als Naturwissenschaftler ausgebildet war, wusste Leopold, dass seine Kollegen, die alle vom reduktionistischen Materialismus und der Verhaltensforschung beeinflusst waren, ihn nicht ernst nehmen würden, wenn er versuchte, Ästhetik und Ethik in die Regelungen der Landnutzung einzuführen. In der Tat war er der Ansicht, dass nichts weniger als ein evolutionärer Fortschritt – ein Fortschritt, bei dem die Menschen lernen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und dadurch die Innerlichkeit anderer Wesen erkennen können – die Gesellschaft über die instrumentelle Sicht der Moderne hinausführen würde, in der das Land einfach ein Rohmaterial für menschliche Zwecke ist.
Aber Leopold konnte seine Intuition, dass Verhaltensforschung (Objektivismus) und Systemtheorie (Interobjektivismus) nur zu einem unvollständigen Verstehen des tierischen Lebens und des Landes führen können, nicht klar artikulieren und vertreten. Er erkannte das grundlegende Paradox des Umweltschutzes: Umweltschützer schätzen die Natur, hängen aber oft einem Verständnis der Natur an, das entweder Werte (subjektive und intersubjektive Perspektiven) ausschließt oder sie als nützliche Erfindung sieht, die das menschliche Überleben begünstigen. In der modernen Kosmologie ist, wie Kant befürchtete, kein Platz für ästhetische Erfahrung, Moral, Bewusstsein und Subjektivität. Umweltschützer sprechen oft über die Natur als ein komplexes, dynamisches System, in dem Menschen, so wie andere Tiere und Pflanzen, einfach nur die Fäden in einem kosmischen Gewebe sind, das weder Hierarchie noch eine Richtung hat. Aber wenn Menschen nur die Fäden in der komplexen Anordnung der Dinge sind – das Sein – dann sind sie nicht dazu in der Lage, nach einer Veränderung des Handelns auf der Basis moralischer Verpflichtung – dem Sollen – zu verlangen.
In diesem Buch bauen wir auf der Arbeit derjenigen auf, die wie Leopold die Notwendigkeit erkannt haben, dass wir die Innerlichkeit des Menschen und der Tiere in unserem Verständnis der Natur und der Beziehung der Menschheit zu ihr miteinbeziehen müssen. Deshalb definieren wir die Ökologie aufbauend auf klassischen Definitionen als die mit verschiedenen Methoden arbeitende Erforschung der subjektiven und objektiven Aspekte von Organismen in Beziehung zu ihrer intersubjektiven und interobjektiven Umgebung auf allen Ebenen der Tiefe und Komplexität.
Innerlichkeiten und Anthropozentrismus
Einige Kritiker (meist wissenschaftliche Ökologen) haben sich beklagt, dass Leopold anthropomorphen Ideen anhing, weil er seine Erfahrungen mit Tieren in der Wildnis personalisiert habe. Nach Ansicht des Positivismus, des Behaviorismus und des eliminativen Materialismus sind wir schon in anthropomorphen Ideen gefangen, wenn wir Menschen Gewahrsein, Innerlichkeit und Persönlichkeit zusprechen! Zusätzlich zum Vorwurf, anthropomorphe Ideen zu verbreiten, haben Umweltschützer ihn auch des Verbrechens des Anthropozentrismus schuldig gesprochen.
Die integrale Ökologie aber transzendiert die Dualität von Anthropozentrismus und Anti-Anthropozentrismus, die so viele ökologische Debatten bestimmt. So wie es ein Fehler der Anhänger des Anthropozentrismus ist, wenn sie nichtmenschliches Leben so behandeln, als hätte es keinen innerlichen Wert, so ist es auch ein Fehler der Vertreter des Anti-Anthropozentrismus, wenn sie ignorieren, dass der Mensch eine herausragende Entwicklung der Evolution auf der Erde ist.
Die integrale Ökologie erscheint vielleicht anthropozentrisch, weil wir in einem der drei Werte (d. h. dem inneren Wert) der Ansicht sind, dass Menschen etwas Besonderes sind, zum Teil deshalb, weil Menschen mit einer inneren Tiefe ausgestattet sind, die es uns ermöglicht, den innerlichen Wert der Natur anzuerkennen! Aber in Bezug auf den äußerlichen Wert sind Menschen nicht so bedeutsam und mit Hinblick auf den grundlegenden Wert sind Menschen von gleichem Wert wie alle anderen Lebensformen. Wie Leopold anmerkt: „Es ist etwas Neues unter der Sonne, wenn eine Spezies den Tod einer anderen Spezies betrauert. Deshalb müssen wir, die wir unsere Wildtauben (Passenger Pigeons, eine nordamerikanische Taubenart, die Anfang des 20. Jahrhunderts ausgestorben ist, A. d. Ü.) verloren haben, darüber klagen. Wäre es unsere Beerdigung gewesen, hätten die Tauben uns wohl kaum betrauert.“
Obwohl der Mensch ein weit entwickeltes Inneres hat und eine erstaunliche Fähigkeit für Sprache, ist das Innerliche nicht auf Menschen beschränkt – das war Leopolds wichtige Erkenntnis. In der Tat ist die integrale Ökologie radikal nicht-anthropozentrisch, weil sie der Ansicht ist, dass das Innerliche „bis ganz nach unten geht“ (d. h., das Innerliche ist ein grundlegendes Merkmal des Universums). Die Fähigkeit der Erfahrung finden wir in der ganzen Natur, wie schwach sie auch sein mag. Ein Reh und ein Mensch haben nicht die gleiche innerliche Erfahrung. Ganz klar ist die Erfahrung des Menschen in bedeutsamer Weise tiefer, aber sie haben beide eine Erfahrung und sie haben beide einen Wert und müssen in einer integralen Ökologie berücksichtigt werden. Ironischerweise kann nur der Mensch eine ökologische Erkenntnis der „Einheit“ mit der Natur entwickeln – und zudem ist die Anzahl der Menschen, die das erkennen, sehr klein und die Anzahl derjenigen, die diese Erkenntnis stabil halten können, noch kleiner. Deshalb ist die ökozentrische Erkenntnis eine anthropozentrische Erfahrung!
Darwin war der Ansicht, dass Menschen nicht das Ergebnis eines besonderen Schöpfungsaktes sind, sondern stattdessen von anderen Tieren abstammen, als Ergebnis zufälliger Mutationen, die sich als angemessen oder vorteilhaft herausgestellt haben. Der darwinistische Naturalismus versteht Menschen als intelligente Tiere, die sich zufällig entwickelt haben. Viele Umweltschützer greifen auf die Evolutionstheorie (und andere wissenschaftliche Konzepte) zurück, um die arrogante Selbstwichtigkeit des Menschen zu reduzieren, was aber manchmal zu einem falschen Umgang mit der nichtmenschlichen Natur geführt hat. In der noblen Absicht, Tiere und Lebensräume vor der durch den Menschen verursachten Zerstörung zu schützen, nehmen viele Umweltschützer anti-anthropozentrische oder gar misanthropische Haltungen ein. In der Tat würden einige radikale Umweltschützer es gar vorziehen, wenn der Mensch als Ganzes verschwinden würde, wodurch angeblich ein Krebsgeschwür aus dem Netz des Lebens entfernt werden würde.
Diese Haltung ist ein Missverständnis. Die Fähigkeit für umfassende moralische Bewertung (selbst die Fähigkeit, menschliches Verhalten als selbstzentrisch zu bewerten) unterscheidet Menschen von anderen Lebewesen. In der Tat haben Umweltschützer eine innerliche Tiefe, die es ihnen erlaubt, andere Menschen aufzufordern, das moralisch Richtige zu tun und ihre Fortpflanzung einzuschränken, Lebensräume zu bewahren und nichtmenschliche Spezies zu schützen. Aber wenn Menschen nur eine weitere Tierart unter vielen anderen sind, ist nichts moralisch Falsches daran, wenn der Mensch andere Spezies verdrängen würde – es wäre ein Ausdruck des Drangs des Universums, die Fortpflanzung zu maximieren (sicher würde weder ein Biologe noch ein Umweltschützer eine nichtmenschliche Spezies moralisch kritisieren, wenn diese ihre Fortpflanzung maximiert). Natürlich kann es zum Zusammenbruch einer Spezies oder zum Aussterben führen, wenn eine Spezies die Belastungsfähigkeit des Lebensraums überschreitet, aber dabei gibt es kein moralisches Fehlverhalten. Wenn wir eine naturalistische Sichtweise der Menschheit akzeptieren, können wir den Menschen nur empfehlen, dem vernünftigen Sollen zu folgen: Wir müssen unser Verhalten gegenüber den nichtmenschlichen Spezies ändern, um das langfristige Überleben und Wohlergehen des Menschen zu sichern. Viele Umweltschützer bestehen aber darauf, dass es hier auch ein moralisches Sollen gibt, dem wir folgen müssen: Wir müssen unser Verhalten, einschließlich unseres Fortpflanzungsdranges, einschränken, damit andere Lebensformen überleben und wachsen können. Diese Empfehlung ist ein Missverständnis, weil sie nicht mit der naturalistischen Sichtweise in Übereinstimmung gebracht werden kann, nach der der Mensch nur eine Spezies unter anderen ist, und an die gleichen Gesetze gebunden ist wie alle anderen Spezies. Wir bezeichnen keine andere Spezies als unmoralisch, wenn sie ihre eigenen Überlebenschancen maximiert. Wenn wir ähnliches menschliches Verhalten als unmoralisch bezeichnen, dann tun wir das vor dem Hintergrund, dass der Mensch sich von allen anderen bekannten Spezies in bedeutsamer Weise unterscheidet. Die (oft unausgesprochene) Voraussetzung, dass nur Menschen für ihr Verhalten moralisch verantwortlich sind, erinnert uns daran, dass mit der Emergenz der menschlichen Spezies etwas Neues, Außergewöhnliches und Gefährliches auf der Erde geschehen ist. Wir werden das integrale Modell und diese wichtigen Diskussionen – die die Beziehung des Menschen mit der Natur bestimmen und verzerren können – im weiteren Verlauf des Buches vertiefen.